Die Täter

Das Außenlager Rochlitz konnte wie das gesamte NS-Unterdrückungssystem nur durch die „arbeitsteilige Täterschaft“ (Raul Hilberg) vieler realisiert werden. Vom gut bezahlten Aufsichtsrat und Schreibtischtäter bis zur Wache im Lager trug jeder seinen Teil bei. Einige dieser Täter und Mittäter sollen in diesem Kapitel vorgestellt werden.


Das Wachpersonal



In den verschiedenen Lagerabschnitten wurde Wachpersonal eingesetzt, das aus männlichen und weiblichen SS-Wachleuten und auch Wehrmachtsangehörigen bestand. Zum Teil diente das Wachpersonal vor und nach ihrem Einsatz in Rochlitz auch in anderen Lagern.1

Der Wehrmachts- und SS-Totenkopf-Angehörige Hermann Specht war in Rochlitz, in Flossenbürg und in Graslitz als Bewacher tätig.2 Der Waffen-SS Angehörige Wilhelm Schäfer war ebenfalls in Flossenbürg im Einsatz, bevor er in Rochlitz eingesetzt wurde.3

Als Kommandoführer des Lagers war zeitweise ein SS-Hauptscharführer Pomorin eingesetzt.4

Zu Misshandlungen kam es durch das Wachpersonal laut mehrerer Aussagen nicht. Häftlinge berichteten aber von einem ungarischen SS-Offizier, der sehr grob in seiner Behandlung war.5

Für die Bewachung des Lagers Rochlitz wurden auch weibliche Angestellte und Arbeiterinnen der Mechanik GmbH eingesetzt. Dreizehn Frauen aus der Mechanik GmbH wurden zuvor etwa einen Monat im SS-Ausbildungslager Ravensbrück zu Aufseherinnen ausgebildet. 2600 Frauen durchliefen die Ausbildung in Ravensbrück, von denen die Mehrzahl dienstverpflichtete Fabrikarbeiterinnen aus der Rüstungsindustrie waren.Ravensbrück diente ab Frühjahr 1942 als zentrales Ausbildungslager innerhalb des KZ-Systems. Die Ausbildung war, neben der ideologischen Einschärfung, dass es sich bei den Häftlingen um „Minderwertige“ und „Volksschädlinge“ handelte, in erster Linie Praxis. Die Auszubildenden wurden in die streng militärische Struktur des Lagers eingebunden und lernten durch Nachahmung der Aufseherinnen das Verhalten gegenüber den KZ-Häftlingen.6 Diese Dienstverpflichtung war eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, wonach die Arbeitsämter Arbeitskräfte von der Tätigkeit in ihren Unternehmen entbinden konnten und zeitweise in kriegswichtige Produktion einsetzen konnten. So konnte der Staat direkt steuernd in den Arbeitsmarkt eingreifen. Mit Ausweitung der Kriegsproduktion ab 1943 und der zunehmenden Errichtung von KZ-Außenlagern, stieg auch der Bedarf an Bewachungspersonal. Die SS machte den Unternehmen, die KZ-Häftlinge einsetzen wollten, Abstellungen von weiblichen Betriebsangehörigen zur Auflage. Die von den Betrieben vorgeschlagenen Frauen wurden dann durch die Arbeitsämter dienstverpflichtet. Die Arbeitsämter bildeten dabei die Schnittstelle zwischen SS und den Betrieben.7

Chedwa Pakula beschreibt das Lager-SS-Personal:


„Was das Lager-SS-Personal angeht, so erinnere ich mich an den Lagerführer. Er war SS-Funktionär. Ich weiss nicht wie er geheißen hat. Man nannte ihn „Herr Oberscharführer“. Er war gross, mittelstark, hatte ein stattliches Aussehen, ungefaehr 35 Jahre alt. Er sprach mit uns nicht, wandte sich immer an die Funktionshäftlinge. Er behandelte uns korrekt in dem Sinne, dass er uns nicht schlug und nicht schimpfte. Ich erinnere mich an einen SS-Mann welchem man LUDWIG nannte und an einen welcher OTTO hiess. LUDWIG war- wie ich glaube – aus Böhmen, er war mittelgross, nicht jung nicht alt, Haar hellbraun. Er war nicht schlecht. Auch OTTO, ein junger SS-Mann von strammer Gestalt, dunkelblond, war ein wirklich guter Mensch. Nach seiner Moeglichkeit trachtete er uns immer zu helfen. Wir dachten manchmal wie es sein konnte, dass er SS-Mann wurde. Zwischen den SS-Frauen waren zwei Schwestern. Ich habe ihre Namen vergessen. Eigentlich habe ich es sogar nicht gewusst, man wendete sich an sie mit Worten: ‘Frau Aufseherin‘. Man sprach von ihnen: ‚die Gute‘ und ‘die Schlechte‘ Die gute war auch eine schoene, junge Frau. Woher diese beiden Aufseherinnen waren - weiss ich nicht. Sie waren beide braunhaarig, beide jung, über 20 Jahre. Die ‘Gute‘ hatte ein besonders freundliches Gesicht, lächelte immer. Es war eine Aufseherin, welche man ‚Ente‘ nannte. Sie war klein schwarzhaarig, hatte einen Entengang, wackelte beim Gehen. Die Ente war aerger als die anderen, schrie und schimpfte. Geschlagen hat man im Lager Rochlitz nicht. Funktionshäftlinge waren meist polnische Jüdinnen. Es war eine Lagerälteste mit dem Namen Fela aus Lodz, an andere erinnere ich mich nicht. Ja, es war auch eine Krankenschwester aus Wien. Ich erinnere mich jetzt, dass der Oberscharführer aus Rochlitz war, weil beim Ausmarsch musste ich mit ihm zusammen manche Sachen in ein Haus in Rochlitz tragen, welches nicht weit vom Bahnhof war. Es war ein Privathaus normal eingerichtet, mit Teppichen.“8

 

Die Häftlinge kannten die Namen der Aufseherinnen deshalb nicht, weil sie diese mit ihrer Funktion, wie „Frau Aufseherin“, anzusprechen hatten. So gaben die Häftlingsfrauen den Aufseherinnen Namen wie „Ente“ oder die „Gute“. Entindividualisiert waren die Häftlingsfrauen, die von den Aufseherinnen nicht mit Namen, sondern mit Nummer genannt wurden.9

 

Die Aufseherin Marianne Essmann



Als Erstaufseherin des Lagers wurde am 15. September 1944 die am 30. September 1921 in Köln geborene Marianne Essmann abgestellt. Nach dem Besuch der Volks- und Mittelschule in Erfurt und Leipzig absolvierte sie eine kaufmännische Lehre in Leipzig. 1940 zog sie mit ihrer Familie nach Rochlitz und arbeitete zunächst als Kontoristin für die Mechanik GmbH, in der auch ihr Vater arbeitete. Schon im August 1944 wurde Essmann zur Dienstleistung als KZ-Aufseherin dienstverpflichtet.10 Auffallend ist die Tatsache, dass ihr Vater ein Direktor des Betriebes war, der in der Auswahl der Aufseherinnen aus seinem Unternehmen vermutlich Einfluss hatte.

Marianne Essmann war bis Februar 1945 Lagerführerin für das Frauenlager. Danach wurde sie zunächst nach Graslitz und drei Tage später in das KZ-Außenlager Mittweida abkommandiert, bis sie am 13. April 1945 nach Rochlitz zurückkehrte. Im Qktober 1945 trat Essman in die Liberal Demokratische Partei ein. Dort arbeitete sie im Mai 1947 im Kreisvorstand. Am 9. Dezember 1947 wurde sie wegen ihrer Tätigkeit während der NS-Zeit verhaftet und unter Anklage gestellt. Als „minderbelastet“ wurde sie dann von der großen Strafkammer des Landesgerichtes Chemnitz zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Diese Strafe wurde jedoch ausgesetzt, da sie unter eine Amnestie fiel, die am 18. März 1948 von der Sowjetischen Militäradministration erlassen wurde.11

Der Aufsichtsrat Hermann Josef Abs



Eine herausragende Prominenz aus dem Kreis der Täter und Mittäter war der Bankier Hermann Josef Abs. Dieser war ab 1937 Vorstand der Deutschen Bank und kümmerte sich ab 1938 um die Arisierung jüdischen Vermögens. Er hatte während der NS-Zeit mehrere Aufsichtsratsmandate inne, unter anderem ab 1940 bei der IG Farben. Ab 1941 war er Aufsichtsratsvorsitzender bei der Pittler GmbH in Leipzig und Aufsichtsrat der Mechanik GmbH Rochlitz. Bis 1945 hatte Abs diesen Posten bei der Mechanik GmbH inne. Er kassierte für das Jahr 1941 eine Aufsichtsratsvergütung von 2.000 Reichsmark12 und für das Jahr 1942 eine Vergütung von 6.000 RM.13

Abs konnte nach dem Krieg seine Karriere in der Bundesrepublik Deutschland als viel geehrter Mann fortsetzen, galt aber wegen seiner Funktion in der NS-Zeit als umstritten.

 

 

1Vgl.: BA Ludwigsburg B 162/18257, Bl. 203

2Vgl.: BA Ludwigsburg, B 162/18257, Bl. 203

3Vgl.: BA Ludwigsburg, B 162/18257, Bl. 204

4Vgl.: BA Ludwigsburg, B 162/18257, Bl. 144

5Vgl.: DEGOB Protokoll 1087

7Vgl.: Oppel, Stefanie, «Marianne Eßmann: Von der Kantoristin zur SS-Aufseherin.Dienstverpflichtung als Zwangsmaßnahme, in: Erpel, Simone (Hrg.): Im Gefolge der SS : Aufseherinnen des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück, Schriftenreihe der Stiftungen Brandenburgische Gedenkstätten, n° 17, Berlin 2007, S.85 ff.

8BA Ludwigsburg B 162/18257 , Blatt 72, Vernehmung der ehemaligen Häftlingsfrau Chedwa Pakula durch israelische Polizei in Beit Dagan, Israel vom 11.9.1968

9Eschenbach, Ines: SS-Aufseherinnen des Konzentrationslagers Ravensbrück. Erinnerungen ehemaliger Häftlinge. In: WerkstattGeschichte 13, Ergebnisse Verlag Hamburg 1996, S. 45 f.

10Vgl. Oppel 2007, S. 158

11Ebd.

12Vgl.: Hofmann, Gerhard: Ein Aufblühen wird einsetzen. Über Aufstieg und Untergang eines Rochlitzer Betriebes. In: Enttäuschte Hoffnung. Wiederaufbau der Kommunalen Selbstverwaltung 1945-1949, Niederfrohna 2004, S.51

13StAL 20792 Pittler Werkzeugmaschinen AG, Leipzig, 98 n.p. Schreiben Pittler an die Mechanik GmbH vom 24.9.1943